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c't 06/97, S. 58

Dr. Thomas J. Schult

Fernführer

Rheinischer Roboter führt auch virtuelle Besucher durchs Museum

High-Tech nicht nur in, sondern auch vor den Vitrinen: In der Bonner Außenstelle des Deutschen Museums kann der autonome Roboter Rhino Ende Mai beweisen, ob er das Zeug zum Führer hat. Auch wer nur im Internet zuschaut, darf ihn durchs Museum scheuchen und seinen Erklärungen folgen.

Vielleicht wird der tonnenförmige Führer mehr Aufmerksamkeit erregen als die Exponate vom Nachrichtensatelliten bis zum Nierensteinzertrümmerer. Die wenigsten sind schließlich schon einmal einem Roboter hinterhergetrottet oder haben sich ihm mutig in den Weg gestellt. Gefahr droht dabei nicht, denn die Rolltonne Rhino pflegt keinen aggressiven Fahrstil. Unerwartete Hindernisse beäugt sie neugierig und sucht sich dann einen anderen Weg zum nächsten Exponat des Museums. Für einen Notfall sind dennoch zwei rote Knöpfe auf Rhinos Schultern angebracht, die ihn im Nu stoppen.

Die Außenstelle des Deutschen Museums im Bonner Wissenschaftszentrum beherbergt eine kleine technologische Leistungsschau. Auf den ersten Blick wirkt Rhino dort fehl am Platz, da er von der US-amerikanischen Firma Real World Interface gebaut wurde. Die Software ist jedoch weitgehend deutschen Ursprungs - Forscher, die an der Uni Bonn im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) arbeiten, entwickelten sie.

Mit ein paar Knöpfen auf der Oberseite darf jeder während des Bonner Museumsmeilenfestes vom 29. 5. bis 1. 6. Rhino bedienen. Ob kurze oder lange Führung, eine Extraportion Erläuterungen oder gezieltes Ansteuern eines bestimmten Ausstellungsstücks - wir konnten uns schon vorab davon überzeugen, daß der Roboter folgsam seinen Dienst tut. Bei Schuhgrößen ab 47 kann es allerdings passieren, daß er den großen Zeh streift, da die Sensoren in einer größeren Höhe über dem Boden arbeiten. Schmerzen hinterläßt der Kontakt mit Rhino jedenfalls nicht.

Zu bestimmten Zeiten stehen die Schöpfer der Software zur Diskussion bereit und können Rhino auch besondere Aufgaben lösen lassen:

  • Erkennen: Kinder sollen beispielsweise durch den Raum laufen und versuchen, Rhino nicht aufzufallen.
  • Explorieren: Anhand seiner Beobachtungen soll Rhino selbständig eine Karte der Umgebung aufbauen.
  • Verfolgen: Rhino soll einem Menschen überall hin folgen, der durch einen besonderen Pullover kenntlich gemacht ist.
  • Lokalisieren: Rhino wird ausgesetzt, ohne seine Position zu kennen. Anhand seiner digitalen Karte der Umgebung muß er herausfinden, wo er ist.
Zum Lokalisieren wie auch für andere Fähigkeiten ist ein probabilistischer Ansatz in Rhino implementiert, der eine Wahrscheinlichkeitsverteilung liefert, die für jeden Ort im Raum eine Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der Rhino sich an diesem Ort befindet.

Wer nicht nach Bonn fahren möchte, kann zu fünf Terminen über das WWW [1] den Herrn der Tonne spielen. Zwei Kameras zeigen im Abstand von wenigen Sekunden die Position von Rhino im Raum sowie das Exponat, das er im Blick hat. Auf einer Karte wählt man die Orte im Museum aus, die man mit Rhinos Hilfe genauer inspizieren möchte.

c`t-Leser haben Rhino schon vor drei Jahren kennengelernt [2], als er bei einem internationalen Wettbewerb autonomer Roboter großes Aufsehen erregte und einen Büroparcours vorbildlich von Unrat befreite. Damals führte Sebastian Thrun Regie, der mittlerweile von Bonn in das US-amerikanische Roboter-Mekka Pittsburgh umgezogen ist und an der dortigen Carnegie-Mellon-Universität erforscht, wie man die Lernfähigkeit der mobilen Tonnen mit KI-Methoden steigert.

Am Bonner Informatik-Institut übernahmen Wolfram Burgard und Dieter Fox die Weiterentwicklung der Steuerungssoftware und zeichnen für den größten Teil der jetzigen Fähigkeiten verantwortlich. Die Software ist in C++ und Prolog geschrieben und läuft unter Linux und SunOS; typischerweise laufen etwa zwanzig Prozesse gleichzeitig.

Thrun konstruierte derweil einen kleinen Gefährten, der wie eine Mischung aus Polizeihelm und Klobürste aussieht. Er befreit Tennisplätze zuverlässig von herumliegenden Bällen [3]. Eine Firma, die den Ballschlucker zur Serienreife führt, hat sich indes noch nicht gefunden.

Grenzen

Der Radius von Rhino im Deutschen Museum ist auf elf Exponate beschränkt, vom Foron-Kühlschrank über den Eisbrecher bis zur Fallkapsel. Aus Sicherheitsgründen muß die autonome Tonne mit einer vorgegebenen digitalen Karte arbeiten. Das Verfahren zum Aufbau eigener Karten in unbekanntem Umfeld mit Hilfe neuronaler Netze funktioniert im Museum nicht zuverlässig genug. Mit seinen zwei Kameraaugen, zwei Laser-Entfernungsmessern, 14 Berührungsmessern, 24 Ultraschallsensoren und 56 Infrarotsensoren kann Rhino zwar vieles sehen, aber auch nicht alles. So gibt es etwa Exponate, die durch eine Metallplatte begrenzt sind, die wie ein Teppich auf dem Boden liegt. Rhino würde da einfach drauffahren, wenn er nicht die Karte hätte.

Das Museum ist natürlich nicht das eigentliche Anwendungsgebiet, das die Roboterforscher im Blick haben. Als nächstes wollen sie ihre Rolltonne für allgemeine Botendienste in Büroetagen präparieren. Eingehende Faxe kann Rhino dem Adressaten bringen, ohne zwischendurch mit Menschen oder Möbeln zu kollidieren. Kommerzielle Brüder von Rhino fahren in amerikanischen Krankenhäusern schon Laborproben herum. Transportaufgaben gibt es natürlich auch in der verarbeitenden Industrie, und nicht alle können von unbemannten Gabelstaplern auf festen Routen erledigt werden.

Auch Haushaltshelfer für alte oder behinderte Menschen stellen sich die Robotiker vor. Nachtwachen könnten von den flinken Tonnen unterstützt werden, und gefährliche Umgebungen wie Atomkraftwerke sind wie geschaffen für autonome Roboter. Ein Exemplar mit Spinnenbeinen krabbelte schließlich schon einmal in einen Vulkan hinein. Damit muß er sich als einer der wenigen seines Standes nicht dem Vorwurf aussetzen, ein Jobkiller zu sein. Aber das ist ein anderes Thema ... (ts)

Literatur
[1] http://www.cs.uni-bonn.de/~rhino/tourguide/
[2] Thomas J. Schult, Katy Börner, Turnier der Autonomen: AAAI Mobile Robot Competition 1994 in Seattle, c't 11/94, S. 70.
[3] Thomas J. Schult, Autonomes Bürsten: Roboter räumen den Tennisplatz, c't 11/96, S. 61

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[Home] Copyright Verlag Heinz Heise. Zuletzt aktualisiert von Michael Kurzidim, 14.05.97